Sehr geehrter Herr Leuenberger
Ich schätze Sie als kultivierten, umsichtigen und vor allem systemkritischen Staatsmann, wenn ich auch Ihrer umso rebellischeren, engstirnigen und wenig pragmatischen SP wenig abgewinnen kann.
Letzthin haben Sie meine spezielle Aufmerksamkeit gewonnen, als Sie als einer der ersten in der Schweizer Politszene die einzig konsequente Folgerung aus der derzeitigen Marktkrise (Der Begriff Finanz- oder Wirtschaftskrise halte ich für irreleitend.) gezogen haben und eine grundlegende Hinterfragung des neoliberalen Paradigmas forderten. Die CVP ist ja gerade in diesen Tagen – noch vor Ihrer Partei – auf diesen Zug aufgesprungen.
So viel Systemkritik und Bereitschaft für Neues mag vielleicht auch Beachtung für meinen Vorschlag für eine Neuformierung der Schweizer Parteienlandschaft gewinnen können. Keine Bange! Auch ich will mich in Pragmatik und Umsichtigkeit üben und sehe die Idee denn mehr als Ergänzung denn als Konkurrenz zu einem jahrhundertealten System. Der Text konnte sich einer gewissen provokativen Rhetorik aber trotzdem nicht ganz enthalten, wie ich gestehe. Ich hoffe, Sie wissen darüber hinwegzusehen und mir Ihr grundehrliche Meinung zum Vorschlag zu geben – wie auch eine Antwort darauf, weshalb gerade der Bundesrat bis heute nicht das Heft in die Hand genommen hat und selbst ein solches Projekt konsequent und determiniert vorangetrieben hat.
Ich kann mir vorstellen, wie viel Arbeit Sie gerade in diesen Tagen haben, hoffe aber trotzdem, ein persönliches, substanzielles Rückschreiben zu erhalten und verbleibe
Hochachtungsvoll
xxx
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Auf dass Parteien wieder unsere persönlichen Interessen vertreten!
Wir alle haben politische Interessen. Diese haben sich gewandelt. Die Parteien nicht.
Politisch sind wir alle. Ob wir es wollen oder nicht. Dies trifft gerade auf ein Volk zu, das sich eines politischen Systems mit direktdemokratischen Elementen und Prinzip der Konkordanz rühmen darf wie es sich in keinem anderen Staat dieser Welt findet. Und dies trifft gerade auch auf Zeiten des schnellen und radikalen Wandels wie diesen zu, wenn wir alle unsere Interessen und Sorgen vertreten müssen, weil Politiker und Beamte die Übersicht verloren haben und bewährte politische Konzepte plötzlich versagen.
Und genau ein solches Versagen zeichnet sich offensichtlich ab in der für jede, auch unsere so spezielle Demokratie so wichtigen Institution: in den Parteien zur Repräsentation unserer Interessen im Parlament.
Parteien sollten die verschiedenen Interessen und Meinungen von uns Bürgern bündeln und effizient und konsequent in der Volksvertretung, dem Parlament, vertreten. Sie sind im Grunde eine vorgelagerte Wahl unter Gleichgesinnten, die so ihre Interessen abstimmen, ein gemeinsames Vorgehen festlegen und in der Landesregierung einbringen.
Die Interessen der Menschen, gerade uns Schweizern, haben sich über die letzten Dekaden einschneidend verändert: Wir streiten uns nicht mehr über Evangelismus, Katholizismus oder Atheismus. Wir haben uns auf den Glauben als persönliche Sicherheit und Konstante geeinigt. Wir brauchen nicht mehr die Mehrheit, um uns in ihm bestätigt zu fühlen. Wir streiten nicht mehr um Kapitalismus oder Kommunismus. Wir haben erfahren, dass die konsequente Extreme zum Scheitern verurteilt ist und das wirtschaftliche System kontinuierlich neu justiert werden muss. Wir streiten kaum noch über die Frage nach Urbanisierung oder Bewahrung von Landleben: Die Globalisierung und der Strukturwandel, gerade in der Schweiz, hat die meisten von uns zu Büroangestellten gemacht, die trotzdem Schweizer Milch und Brot zu geniessen wissen.
Neue Herausforderungen verlangen von uns Ansicht und Meinung ab: Wollen wir uns der Welt öffnen, sie beeinflussen wie auch beeinflusst werden? Überwiegen die Vor- oder Nachteile dieses Einflusses? Wollen wir leistungsorientierter werden oder vorbeugen, alles diesem Kriterium unterzuordnen? Was für einen Stellenwert müssen, wollen oder können wir der Natur in unserer Politik zugestehen?
So steht es um die Schweizer Parteienlandschaft.
Doch schauen wir uns die Schweizer Parteienlandschaft an! Da ist die sozialdemokratische Partei SP im linken Flügel. Noch immer streicht sie alles putterrot. Ihre alternden Vertreter schreien noch immer nach Sozialismus, träumen von einem europäischen Proletariat und sehen den Fiskus in erster Linie als Schöpftopf. Dass sich in erster Linie die Unternehmen und reichen Menschen über die Welt hinweg die Hand gereicht haben und schnell mal den Schöpftopf in ein ausländisches, wohl weniger demokratisches Land mitnehmen können, das wollen die sozialkonformen Querdenker nicht wahrhaben.
Da ist die Christliche Volkspartei CVP, die einst den christlichen Glauben im Parlament gepredigt wissen wollte. Inzwischen kleidet sie sich wie die Migros und der Coop in Orange und versucht den Durchschnittsschweizer statt ins Lebensmittelgeschäft in die Partei zu locken. Wofür sie eigentlich steht, wenn sie "Familienpolitik" betreibt, dürfte wohl niemandem klar sein.
Da ist die Freisinnig-Demokratische Partei FDP, die sich in den letzten zehn Jahren mehr zu einer Wirtschaftslobby als einer Volksvertretung gewandelt hat und deshalb im Volk alljährlich Stimmen einbüsst.
Da ist die Schweizer Volkspartei SVP, die gerade mit dem Versagen der FDP zum Sammelbecken aller liberalen Vorstellungen wurde, aber unter der entsprechenden Vielfalt der Ideen und Ansichten wie auch den machtpolitischen Interessen ihrer Gründerväter am Zerbrechen ist.
Neben diesen vier noch grossen Parteien ist da aber auch die neue Bürgerlich-Demokratische Partei BDP, die ein erstes Kind dieses Konflikts in der SVP ist, sich aber programmatisch von jener kaum unterscheidet und denn mehr eine Partei der Geächteten und der Unzufriedenen ist.
Da ist ferner die Grüne Partei, die mit ihren Umweltanliegen dem Schlagwort der Gegenwart, Nachhaltigkeit, Rechnung tragen und denn plötzlich Zulauf gewonnen haben. Aber auch sie sind geschwächt, da Umweltanliegen kein konsistentes Programm bilden und so sehen sich einige immer noch als kleine Tochter der SP, während andere als Grünliberale einen neuen Weg gehen wollen.
Und da sind noch viele kleine Parteien, die in geographischen oder programmatischen Nischen oder auf Schultern einer charismatischen Persönlichkeit halten.
Doch sie alle haben gemeinsam, dass sie mehr Namen als Inhalt haben.
Was will die SP nochmals genau? Da hört man von Kinderkrippen für alleinerziehende Mütter und umfassenden Versicherungen, die man mit höheren Steuern für Reiche finanzieren will. Dass diese aber wahrscheinlich (wieder) ins Ausland abziehen, das sei nicht bedacht. Jüngere Generationen rufen schon lange nach einer Neuorientierung der Partei, doch zeigen mit Hausbesetzungen, dass diese entweder noch rebellischer ausfallen oder umgekehrt mehr sozialen Liberalismus als Sozialismus wünschen.
Da springt die CVP ein, die sich als gemässigtere (Mitte-)Links-Partei gibt. Aber mit den globalpolitischen Massstäben konfrontiert, verkommt sie allzu häufig zum Fähnlein im Winde, die aber sehr wohl da und dort noch etwas soziale Gerechtigkeit herauszuschinden weiss.
Die FDP steht für das KMU ein. Ihre Repräsentanten rekrutiert sich aber vor allem aus grossen und gar multinationalen Unternehmen und auch gerne mal noch einen Sitz im einen oder anderen Verwaltungsrat haben. Dass diese dann gerne über die kleineren Unternehmen hinwegpolitisieren, entspricht dann nur dem opportunistischen Fressen-und-Gefressen-Werden der ökonomischen Philosophie.
Da dürften noch mehr Leute aus dem Gewerbe in die SVP flüchten, wo sie aber mit den angestammten Bauern schnell in Konflikt geraten. Der gemeinsame Nenner wird Konservativität, was von vielen schon als konsequente Nein-Sagerei verurteilt wurde. Bezeichnenderweise kommen hier immer noch die meisten neuen politischen Ideen, so radikal oder einseitig sie manchmal auch sein können.
Die Parteien sind in einer Sinnkrise und lassen sich nicht helfen.
Die Schweizer Parteien sind in einer Sinnkrise. Ihre Neuorientierungen kann man einfach nur als notgedrungene, verzweifelte Sinnsuche deuten und die vagen Prinzipien und abgenutzten Phrasen in den Statuten sagen einfach nichts aus. Viele Leute drohen dabei ausser Acht zu lassen, dass solche Prinzipien und Programme niemals Quelle neuer, guter Ideen, konsequenter und bestrebter Denkrichtungen und erfolgreicher und effizienter politischen Vorschläge sind. Da versteht plötzlich jedes Parteimitglied etwas anderes unter den Grundsätzen und die endgültige Deutung wird den Funktionären in der Partei und den Politikern im Parlament ausgeliefert. Sollten die nicht unsere Interessen einen und vertreten?
Ist es nicht bezeichnend, dass die Presse in diesen Jahren mehr denn je über Parteiengezänkt, Schlammschlachten zwischen einzelnen Politikern und Auslosungen über Ratssitze zu berichten weiss? Wie häufig lesen wir von programmatischen Diskussionen gelesen? Wir Bürger wollen unsere Interessen vertreten sehen, nicht des Politikers persönliche Quoten und Zoten.
Was nützen uns solche Parteien und ihre Repräsentanten denn? Höchstens eine gute Promi-Story in einer Boulevardzeitung am Morgen. Aber sie helfen uns garantiert nicht, das Schweizer Vermächtnis der Demokratie hochzuhalten und weiterzutreiben, auf dass wir und unsere Nachfahren auch in Zukunft in einem der grossartigsten, ja wahrscheinlich dem grossartigsten Staat der Welt leben können.
Was können wir dagegen tun? Interessen müssen stets gebündelt werden. Parteien gibt es seit Anbeginn der Politik. Aber nie waren sie dasselbe und sie sollen auch nie dasselbe bleiben. Die Parteien haben gezeigt, dass sie nicht willens oder gar in der Lage, sich endlich neu zu erfinden. Reformversuche versanden im Parteienfilz. Warum denn nicht ein Neuanfang? Warum formieren wir uns nicht einfach neu - hinter unserer wahren Interessen und Sorgen, gebündelt in neuen Prinzipien und Programmen!
Gewiss mögen viele denken, dass ein solcher Versuch alleine schon aus Gründen der Ressourcen, der kritischen Grösse, des Konfliktes mit bestehenden Parteien und so weiter zum Scheitern verurteilt ist.
Aber wir müssen uns gänzlich von diesen althergebrachten, überholten Vorstellungen des politischen Austausches lösen - wie wir es doch in so vielen anderen Bereichen getan haben. Die Lösung liegt in genau diesem Medium, in dem ich hier mit euch kommuniziere: im Internet. Ist es nicht bezeichnend, dass der Schweizer Staat bis auf den heutigen Tag sich tatkräftig dagegen gesträubt hat, sich hierhin auszudehnen, wo inzwischen schon so viele von uns den Grossteil ihrer Informationen holen, ihre Meinungen austauschen und machen? Dasselbe gilt für die Parteien! Die Webseite welcher Partei bietet schon ein Forum, wo man seine Meinung publik machen könnte? Man könnte fast meinen, die Funktionäre und Politiker wollen das Internet aus der Politik verbannen, weil sie ihre persönlichen Interessen bedroht sehen.
So wollen wir denn die längst überfälligen Dinge selbst in die Hand nehmen und die politische Landschaft ins Internet erweitern! Gründen wir die Schweizer Politik im Internet neu! Dies soll nicht im Konflikt zum Schweizer Staat und seinen staatlichen Institutionen erfolgen, sondern höchstens als Konkurrenz zu den vertrockneten Parteien, die die Schweizer Politik zu Boden richten zu drohen.
Wie wir unsere Interessen trotzdem untereinander abstimmen und ins Parlament bringen können.
Was gilt es denn zu tun? Wir müssen ein zuverlässiges, schnelles und vor allem sicheres Netzwerk von Foren errichten, die Ausgangsort für die Interessenfindung und Gründung von neuen Parteien werden. Neben diesen Parteiforen werden zwei weitere Typen von Foren bestehen: Das eine sind offene Diskussionsforen, in denen jeder Teilnehmer seine persönliche Meinung äussern und diskutieren kann. Das andere sind Parlamentsforen, in denen eine solche Diskussion von Repräsentanten aus den Parteiforen geführt wird und die Grunddiskussion klar und geordnet spiegeln soll. Diese Parlamentsforen soll ein Parlament mit Mehrkammersystem wiederspiegeln, um den Föderalismus zu wahren, ja vielleicht sogar mehr als zwei Kammern umfassen, um spezielle Diskussionen wie Umwelt oder Atom ohne die Pattsituationen des traditionellen Systems diskutieren zu können. Es sei bedacht, dass auch diese Parlamentsforen alleine der Diskussion dienen sollen und gegenüber den öffentlichen Foren für mehr Klarheit und Einsicht sorgen.
Schliesslich sollen die User auf Grundlage der Diskussionen in den Partei-, öffentlichen und Parlamentsforen, mitunter auch den Empfehlungen der Repräsentanten der Parteiforen ihre Meinung fassen und in der Realität, in den echten Abstimmungen, auf den echten Wahlzetteln einfliessen lassen.
Das ist wahre Demokratie! Das ist Parteienpolitik, die programmatisch orientiert ist und zum Erfolg der Schweizer Politik führt. Das ist die Plattform, die uns endlich unsere Meinungen richtig diskutieren, ordnen und repräsentieren lässt. Denn politisch sind wir alle.
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