Gewiss, Lebensphilosophien sind wie wissenschaftliche Theorien, die im Endeffekt auf unhinterfragbaren Theoremen basieren, die einfach deshalb unhinterfragbar sind, weil sie sich weder verifizieren noch falsifizieren lassen, sondern bewusst „entwickelt“ („enacted“) sind. Eine Philosophie kann denn ausserhalb ihres eigenes Interpretationsumfeldes nie als richtig oder falsch interpretiert werden. Um gegenseitige Empathie und Flexibilität in der eigenen Philosophie gewährleisten zu können, muss aber stets bewusst bleiben, dass diese eigene Basis „entwickelt“ ist! „Glauben“ dagegen ist nichts anderes als die ignorante Behauptung, die Theoreme seien „richtig“ oder „wahr“. Um über die Grenzen der (im Endeffekt individuellen) Lebensphilosophie hinaus kommunizieren und interagieren zu können, resultiert eine zwanghafte Angleichung dieser einzelnen Philosophien, eine Normalisierung sozusagen. „Normen“ sind denn nichts weiteres als Theoreme, die „entwickelt“ wurden und über die Übereinkunft herrschen – zu herrschen erzwungen wurde! Daraus resultiert ein gesellschaftliches Paradigma, eine vorherrschende Lebensphilosophie, der wir alle mehr oder minder zu folgen haben. Diese „Sozialisierung“ soll keineswegs bestritten sein. Es soll einfach daran erinnert werden, dass sie „entwickelt“ ist! Sie ist damit veränderbar und soll dies auch, um stets individueller Lebensphilosophien ermöglichen zu können. Nicht zu Reflektieren, also zu „Denken“, verhindert aber diesen Wandel. Dieser Wandel muss aber aktiv vollzogen werden (modische Rebellion, Initiativen, etc.) und kommt selten passiv daher – wir müssen ändern, also reflektieren! Da sozialisierte Menschen alle ihre Lebensphilosophie dem sozialen Paradigma (z.B. „Leben steht über alles.“, „Was selten ist, ist wertvoller.“ oder „Wer etwas erschafft, dem gehört es, weshalb er darüber verfügen darf.“) unterworfen haben, können sie kaum noch systemkritisch denken! Doch nur die Systemkritik gibt den Impuls zur Selbstreflexion, da erst sie neue Ansichten einbringt! Diese systemkritischen, antisozialen Theorien müssen beachtet werden. Sie zu beachten, zu reflektieren und in die eigene Philosophie zu integrieren, bedeutet nicht das Verleugnen der eigenen Theorie, sondern die Ausdehnung des Paradigmas. Selbstverständlich wird es damit unklarer und seichter, aber auch flexibler.
Wir alle Menschen haben die Veranlagung zu dieser Reflexion, diesem „Denken“. James Brown hat auch nicht den Soul gegeben. Wir hatten ihn schon, nur nicht gefühlt! Wir alle müssen pragmatisch bleiben und nicht die „bottom turtle“ suchen, da es sie nicht gibt, wie Freeman sagte. Aber wir müssen die Schildkröte unter dem Krokodil ansehen. Und vielleicht noch die Schildkröte darunter. Vielleicht noch eine Schildkröte darunter. Und wenn wir Zeit haben, noch eine darunter. Wir gucken nicht, um die unterste Schildkröte zu suchen, sondern um uns stets zu versichern, dass da nicht ein Krodokiljäger unter dem Krokodil ist, oder ein Schildkrötenkoch unter der Schildkröte. Auch das muss sein, lauern doch über die Jäger und Köche: Weshalb sollte man nicht Invalide töten? Vor 1000 Jahren wären sie sowieso ausselektioniert worden? Ja, umgekehrt, drohen sie ja den Genpool zu verschlechtern. Die Antwort ist nicht die gläubige Behauptung, das Leben stehe über allem, sondern der rationale Gedanke, dass wir alle einmal invalide werden könnten, nicht ausselektioniert werden wollen, oder uns zu einem Invaliden emotional verbunden fühlen, den wir dann auch nicht ausselektioniert haben wollen. Sowieso verhalf uns physische Mängel zu vielen Erfindungen – man denke an die Optik oder Robotik! Das sind Bestätigungen, die sich ohne eine kritische Hinterfragung nie finden lassen. Nur weil man kritisch ist, heisst das noch lange nicht, dass man schliesslich zustimmt.
Die Antwort auf die Frage, wer die Zeit erfunden habe, ist denn nicht, das alles im Flusse sei (Wo ist hier überhaupt der logische Zusammenhang? Ein induktiver Kurzschluss eines anderen Theorems, dass Zeit überhaupt existiere und linear sei! Blickt man auf das alte China, so findet sich dort eine zyklische Zeitvorstellung. Auch die moderne Auffassung eines wellenförmigen, konjunkturähnliche „Fortschreiten“ harmoniert nicht.) oder Zeit relativ und nur Licht konstant sei. Die Antwort lautet schlichterdings, dass man überhaupt gedacht hat, dass Zeit erfunden sein könnte! (setting the agenda)
Wir denken in Mustern. Wir denken zu selten. Und wir sprechen viel zu wenig darüber. Platon wusste schon zu sagen, dass sich Gedanken nur im Gespräch weiterentwickeln. Und wieviele Metaphern gibt es für die Einsicht, dass Denken auch noch nicht Erfahren sei und deshalb Gewusstes oder Gedachtes noch lange nicht verstanden ist.
Ich will nicht in den Abgrund springen. Ich will nur möglichst weit vortreten und tief, tief runter blicken – nicht bis zur „bottom turtle“, sondern zu einem weiteren Krokodiljäger oder einem Schildkrötenkoch.
Warum sollte ich graduieren? Um das Paradigma auszunutzen und einen bessere Position für ihre Kritik zu gewinnen. Verletzt das nicht mein eigenes Theorem? Vielleicht. Aber es ist pragmatisch sinnvoll.
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